
SABOTAGE VISUELLE
von Sibylle Sunda
Die Sabotage, als absichtliche und heimliche Störung und Manipulation eines Prozesses, kommt unter dieser Bezeichnung ziemlich genau zeitgleich auf wie die industrielle Revolution. Die Verbindung zur Sabotage Visuelle, also zur Manipulation des Bildes und vor allem des bildgenerierenden Mediums wie, das Ana Vujic hier vornimmt, liegt also auf der Hand. Künstlerisch vollzieht sie die Manipulation etwa durch Ritzen, Übermalen und Zweckentfremdung von Material, wie auch inhaltlich durch das Befragen von Medien wie alten und defekten photographischen Dispositiven und ihre Überlagerung mit zeitgenössischen (sprich digitalen) Mitteln, ebenso das Befragen der Verbreitung von Bildmaterial durch Massenmedien und implizit auch deren 'privatisierten' Form, der sozialen Medien (eine unabhängige und doch nicht unproblematische Form der Verbreitung von 'News'-Bildern).
Sabotage bedingt eine Maschine, einen Apparat, oder hier auch einen sozialen oder künstlerischen Prozess, sogar den Akt des Schauens, der manipuliert und als Fehler im System offengelegt wird.
Das Medium formt unseren Blick, behaupten und belegen die Arbeiten Ana Vujics in dieser dichten und finsteren Präsentation. Zwischen Technophilie und Technologieskepsis halten uns die Arbeiten emphatisch dazu an, unsere eigene Art des Bildkonsums zu reflektieren und der Konstruktion von Wirklichkeit auf die Spur zu kommen, ihrer Bedingtheit durch das vermittelnde Bild oder Medium, und schliesslich der fragilen Natur dieser Wirklichkeit.
In dem grossformatigen, an Géricaults Floss der Medusa gemahnenden Flüchtlingsschiff („No Man`s Land“; Tusche auf MDF Platte) und der angrenzenden eingenickten Fernseherin, der „Mélancolie du temps moderne“ ist es gerade diese mediale Brechung der Realität, über die wir sinnieren sollten. Der von Ost nach West wandernde Totentanz, der sich mittels TV- und Mobiltelefon-Bildern Raum greift, vervielfältigt sich in einer paradoxen Spiegelung des Todes – der Todesahnung, von dem Tode Entrinnen und vor allem des Todestriebs.
Die erschöpfte Schlafende, die vermeintlich Gesättigte vis-à-vis den Entronnenen auf dem Schiff verbindet eine Parallele des Schattens. So ist der Schlaf (hier ein weiblicher Hypnos) der kleine Bruder des Todes. Die dunkle Kraft dieses Schattens (Melancholia) ist bei den Schiffenden immanent traumatisch und existentiell, bei der andern Figur - einer Allegorie des Westens? - endogen und katatonisch geworden. Das erwähnte Paradoxon nun ist, dass bei ersteren wohl mehr Hoffnung da ist, sie auf eine gewisse Art sogar für den hoffnungsvollen Aufbruch und die Überwindung des Todes stehen, während bei der fernsehenden 'Verschonten' eine nicht mehr zu überwindende Stagnation spürbar ist, eine metaphorische Erschöpfungsdepression. Ein interessanter Verweis ist das historisierende Fernseh-Testbild, das auf gespeicherte Schatten aus einer früheren Zeit schliessen lässt, die unzugänglich geworden sind, obwohl sie aktuell weiterwirken.
In einem Akt der ikonischen Aggression (oder eben Sabotage) entweiht und profanisiert Ana Vujic mit Messer und Marker Drucke der Muttergottes und des Gottessohns, indem sie sie 'sterblich' macht – uns gleich. Christus verschmilzt mit dem Adamsschädel am Fusse des Kreuzes. Für Maria gibt es keine Erlösung, keine Himmelsaufnahme, ihr Leiden wird sie geradewegs in den Tod hinein verhärmen. Anders gesagt, sie verhärmt in die Bedeutungslosigkeit eines Menschenlebens und dessen Vergänglichkeit. Paradoxerweise erhebt die 'Häresie' der Vermenschlichung und das Aberkennen eines übermenschlichen göttlichen Status, welche hier gewaltsam an den Ikonenbildern vorgenommen wird, und die Intensität des Schmerzes sie über die Schwelle des individuellen hinaus zu einem über-individuellen Schmerz. Durch das Töten des Göttlichen transzendiert das Bild wiederum zu einer Überschreitung des rein Menschlichen und erschafft paradoxerweise einen neuen Christus (Sinnbild des Schmerzes und seiner Überwindung durch Annahme) und eine neue mater dolorosa.
„Time flies away / Birth, Fuck, Death“ sind drei Zeichnungen auf der verwitterten Rückseite von gefundenen Drucken und widmen sich dem alten künstlerischen Thema der Nichtigkeit und Bedeutungslosigkeit der menschlichen Existenz gegenüber dem Lauf der Zeit. Im Zeitraffer des einzelnen Lebens offenbart sich Chronos als Sieger über den Eros. Die Zeit, sie entflieht und sie besiegt uns.. Wieder hebt uns Ana Vujics Kunst in ihren Spannungsbogen zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, in dem das Wissen um die Nichtigkeit doch erst das Leben ermöglicht.
Trotz der Schwärze, die ihr gesamtes Schaffen durchzieht, bleibt doch immer festzuhalten, dass die Melancholie niemals ein endgültiges Absinken in die Schwermut ist, im Gegenteil. Denn die Melancholie ist, in einem Umkehrschluss von Susan Sontags Aussage „Depression is melancholy minus its charms“, die reizvolle Variante der Konfrontation mit dem Tod, oder anders, das Entstehen des Schöpfergeists angesichts der Wirklichkeit und eben auch der Schaffenskraft ungeachtet der Wirklichkeit.
Text: Sibylle Sunda
Basel, 2016

Ana Vujic
No Man’s Land/
Chemical Moon Baby, Zürich, www.upthestairs.ch, kuratiert von Jasmin Glaab
Auf der schwarzen Wand wird die Arbeit No Man’s Land von Ana Vujic gezeigt. Die Malerin und Kunsthistorikerin befragt die Verbreitung von Bildmaterial durch die Massenmedien und implizit auch deren ‹privatisierte› Form. Die grossformatige Malerei No Man’s Land zeigt ein Flüchtlingsboot und erinnert an Géricaults Floss der Medusa.
No Man’s Land
Ein Schiff mit Entronnenen kommt übers Meer, wie wir es beinah täglich in den Medien zu sehen kriegen – die Passagiere könnten, wie sie hier dargestellt sind, jedoch auch wir sein. Grossformatig wie Géricaults Floss der Medusa wiegt sich ein Totentanz über die Wellen, desgleichen zeigt sich eine Kritik an herrschenden Zuständen. Mehr noch als nur intellektuelle Kritik wohnt dem Bild indes eine Nachdenklichkeit und Traurigkeit inne. Durch das Erfassen eines grösseren Horizontes dieser news items schafft die Künstlerin hier eine Allegorie.
In einer Rückführung in die Klassizität erhebt Ana Vujic jede einzelne Figur zur Darstellungswürdigkeit, jede einzelne kann uns somit direkt mit einem Gesicht und einer Differenzierung visuell ‹treffen›. Auch klingen die archetypischen Bilder der
Flucht nach Ägypten an: es ist eine Flucht in Angst, nachdem eine angekündigte Tötungsabsicht die Existenz in einer steten Bedrohung und Unsicherheit anspannt und verfinstert. Solch ein humaner Extremzustand, der im Lauf der Geschichte immer wieder andere – potentiell also auch uns – trifft,
ist in No Man’s Land veranschaulicht. Andererseits ist das Bild auch eine ganz konkrete Reaktion auf
die Flut von Bildern in unseren Medien, die von den ‹Konsumenten› oft beiseite geschoben werden – oder die wie ein Schatten mit ihnen mitlaufen.
Transformatorische Schwärze – der Style Noir von Ana Vujić
Die Kunst von Ana Vujic besetzt immer einen Spannungsbogen zwischen Subkultur und museal-akademischer Tradition, zwischen Direktheit und Symbolismus, zwischen der spontanen Impulsivität des Punk und der eng bestimmten Bildsystematik der tradierten Ikonographie.
Über ihre prägenden Begegnungen mit Kunst sagt Ana Vujic, als ‹Bilder› empfunden und wahrgenommen habe sie in ihrer Kindheit mehrheitlich Ikonen in der serbisch-orthodoxen Kirche. Bei den Messebesuchen ihrer Grossmutter verbrachte sie viel Zeit vor diesen Ikonenwänden und war Motiven wie dem leidenden Christus ausgesetzt, da sie noch zu klein war, um regulär an der Messe und am Gesang der Älteren teilzunehmen. Als sie mit zehn Jahren in die Schweiz zu ihren Eltern zog, geriet sie durch Zufall, bzw. räumliche Nähe, an die Kunstmesse Art Basel, wo sie ein Bild von Renée Levi in den Bann zog. Eine Epiphanie. Denn dessen impulsive und doch kontrollierte Geste, mit dem expressiven Schrei des Neonpink setzte eine neue visuelle
Energie frei und sie wusste, dass Zeichnen und Kunst ihre Ausdrucksformen sein würden.
Die Ikonostase hatte einen elektrischen Impuls bekommen, das Bild war zum Leben erweckt, das visuelle Medium erweitert worden. Offener Raum, um eine eigene Auseinandersetzung zu ermöglichen und zum eigenen Bildschaffen einzuladen. So arbeitet sie in diesem Feld zwischen Tradition und Expressivität, zwischen geordneter Strenge und wildem Impuls, zwischen Gegenständlichem und Abstrahiertem. Oft führt sie dies in die allegorische Form; und immer entstehen ihre Werke in einer raschen, entschiedenen Arbeitsweise ohne monatelanges Feilen und Verfeinern.
Die favorisierte Technik Ana Vujics ist die Zeichnung mit Tuschfeder oder Pinsel, erweitert um ein direktes, häufig auch ‹aggressives› Bearbeiten des Bildträgers, welcher beispielsweise geritzt wird.
Zudem stellt sie Siebdrucke her, oft über bereits bestehende Objekte (z.B. Schallplattenhüllen).
Viele ihrer Bildträger sind gefundene Materialien, die anschliessend überlagert werden. Ein Teil der alten Substanz bleibt hierbei absichtlich noch erkennbar. Einerseits geschieht damit eine gewaltsame Einschreibung ins Alte und Althergebrachte, andererseits wird den Spuren der Zeit Respekt gezollt, indem ihnen eine, wenn auch entstellte, Anwesenheit zugestanden wird (namentlich in den übermalten Ikonenbildern).
Ana Vujic bezeichnet sich als Autodidaktin und hält fest, sie stehe (als Kunstschaffende, nicht als Kunsthistorikerin) völlig ausserhalb des Diskurses von Kunsthochschulabgängerkunst, welche sich schon lange von der handwerklichen bzw. zeichnerischen Ausdrucksform losgelöst hat.
Die Reduktion auf Schwarzweiss erlaubt ihrer Kunst eine erhöhte Konzentration auf den Inhalt, die Übermittlung von Gefühlen und der Aussage; ganz grundsätzlich ist Kunst für sie ein Medium, das kommunizieren will, ein Medium des Ausdrucks. Mit reflektiertem Interesse lotet Ana Vujic gerne die Grenze zwischen dem, was als Kunst und dem, was nicht Kunst gilt aus und verfolgt ihren Verlauf. Nie flüchtet sie dabei ins Ironische, dem sie eher kritisch gegenübersteht.
Da sie sich im Studium der Kunstgeschichte auch in der Theorie profund mit Performancekunst auseinandergesetzt hat, haben viele ihrer Werke einen Aspekt öffentlicher Interaktion, beispielsweise entsteht das eigentliche Werk im öffentlichen städtischen Raum (so ihre Schreib-‹performances› mit Schreibmaschine, u.a.)
Durchaus möchte sie sich einer Tradition der politischen Kunst anschliessen und diese weiter betreiben. Immer gelingt es ihren Bildern, sowohl das Bewusstsein und das Wissen um diese tradierte Überlieferung durchscheinen zu lassen, wie auch zu einer vollständig zeitgenössischen Form zu finden, die auch Impulse von Kunstguerilla oder Street Art aufnimmt. Auch in Ana Vujics Schaffen kann man eine – so vom Peng! Collective für sich in Anspruch genommene – ‹Sehnsucht nach zärtlicher Sabotage› konstatieren. Die Realität wird verwertet, auf reale Zustände reagiert, aber in einer angereicherten Form, welche durch die künstlerische Umwandlung erreicht wird.
Eine der stärksten, durchgehend mitschwingenden Referenzpunkte im Werk Ana Vujics ist sicherlich Goya und seine in jedem erdenklichen Sinne schwarze Malerei: die Dunkelheit der menschlichen Grausamkeit offenlegend, ohne das Licht des Geistes zu verlieren. So wird durch den kreativen Impuls und die Begegnung mit der Schwärze eine Umwandlung möglich, welche die condition humaine sichtbar macht, aber zum Leben hin transformiert.
Sybille Sunda
Basel, 2017


FLÜCHTIGE SCHWARZE GEDANKEN
Verfasst von Ana Vujić, im Rahmen der Gruppenausstellung >Le mal de vivre<, Galerie Daeppen, 14. Juni - 12 Juli 2014
Da steht es, ein verlorenes Anarchiezeichen an der Wand. Quer auf der Fassade, ohne Rücksicht aufgesprüht, wird es dem zufällig vorbeilaufenden Passanten aufgedrängt. Es muss wahrscheinlich nachts gewesen sein, als dieser Chaosakt geschah und es wird wahrscheinlich Tag sein, wenn es mit lautem Getöse eines Hochdruckreinigers wieder entfernt wird. Dies muss die Spur eines Egowichsers sein, der seine Zeichen beliebig setzte und das monotone Grau der Fassage mit Rot ruinierte. Die Handschrift des Täters, ich sage dir, es muss die eines Teenagers gewesen sein, denn viel zu schnell geschrieben, manifestiert sie sich als eine beinahe abstrakte Form im Irgendwo. Sein jugendlicher Leichtsinn, der pubertäre Trieb ist Schuld für diesen sinnlosen, zu bestrafenden Gegenwind.
Die Stadt hat einen Körper, ihre Wände sind wie Membranen, so wie die Haut, die das Innere vom Öffentlichen trennen. Jeder Lebensraum ist ein Konstrukt, welcher den Zeitgeist ziert. Und jeder Zeitgeist bringt seine spezifischen Konstrukte hervor. Wird Neues gebaut, wird Altes verdrängt, so sind die Spielregeln. Die ästhetische Umsetzung eines Gebäudes zeigt seine Funktion und seinen Nutzen. Es ist nicht selbstverständlich, dass man einen Kindergarten nicht mehr von einem Bürogebäude, gar von seiner Wohnung unterscheiden kann. War es doch noch so, dass vor einem guten Jahrhundert die Psychiatrie einem Schulhaus glich.
Nicht nur in armen, sondern auch in unseren reichen Städten finden Obdachlose keinen Platz, sie scheinen dafür da zu sein, das man sie noch weiter an den Rand schiebt. So lebt die Hoffnung weiter, dass die Erde eine Scheibe ist und all die Tagediebe dort ins Nichts herunterfallen. Man baut funktionslose, automatische Sprinkeranlagen vor Gebäuden, damit ein Penner, wie ein nasser Hund davon zotteln kann. Auch die Sitzbank ist zur Einsamkeit verdammt, mein Stück-Abtrennung- dein Stück, der heutige Bürger trägt sogar Scheuklappen am Arsch.
Jetzt wo du schon sitzt, schau umher, schau in die Kameras, die dir zunicken. Du kannst nicht, denn sie haben mehr Augen als du.
Wir leben in einer offenen Welt, in der Individualismus mit Egoismus verwechselt wurde. SVP-Plakate schreien von den Wänden, Rechtspopulismus macht sich in den Stuben bequem, geschürt wird Angst gegen Fremdes, Das, obwohl alle wissen, niemand will ein Fremder sein.
Das Irren im Alltag macht müde, will doch jeder nur abschalten, mit dem Blick am Abend in der Hand. Bilder des Krieges bringen keinen schlechten Schlaf mehr, sie sind Gutenachtgeschichten wie die der geilen Körper treibend durch eine reiche Welt.
Unsere Augen sind schwarz. Wir sind ausgebrannte Menschen in einer ausgebrannten Welt.

